von Hans-Peter Stricker und Philipp Lengsfeld
1. März 2023
Guten Tag,
wir, das wissenschaftlicheTeam der re:look climate gGmbH, möchten Ihnen etwas über die sog. Klimastreifen erzählen, die zur Zeit allgegenwärtig sind. Gerade in Deutschland erfreuen sie sich sehr großer Beliebtheit, zieren Tassen, T-Shirts, Wetterberichts-Hintergrundwände oder auch Straßenbahnen. Im Anhang nur pars pro toto ein Bericht aus Freiburg.
Die Klimastreifen waren so erfolgreich, dass sie sich nicht wirklich erklären mussten.
Trotzdem ist es interessant und lehrreich ihren Ursprung etwas genauer anzuschauen. Klimastreifen waren ursprünglich das Mittel, einen mutmaßlich singulären Anstieg von Jahresdurchschnittstemperaturen in den letzten hundert, fünfzig oder zwanzig Jahren auf intuitive und ebenfalls singuläre Weise erfahrbar zu machen.
Popularisiert wurden sie durch den Wissenschaftler Ed Hawkins, einem ausgebildeten Astrophysiker und jetzt Professor für Klimawissenschaft an der Universität Reading, UK. Ed Hawkins hat die Klimastreifen als warming stripes eingeführt und betreibt die Webseite #showyourstripes, die globale Quelle der Klimastreifen ist (alle Quellen unten).
Worauf beruft der Effekt der Klimastreifen? In üblichen Temperaturkurven können Trends und starke Schwankungen nicht auf den ersten Blick deutlich wahrgenommen und voneinander getrennt werden. Hier die Jahresdurchschnittstemperaturen für Berlin von 1880 bis 2021:
Vermutlich erklärt sich der enorme Erfolg der Klimastreifen daraus, dass sie aus solchen schwer verständlichen Verläufen etwas Wesentliches auf intuitive Weise herausstellen, nämlich dass es z.B. in den letzten Jahren wärmer als je zuvor gewesen ist:
Gezeigt sind hier exakt dieselben Daten wie in der Temperaturkurve, wobei allerdings erst einmal nicht klar und offensichtlich ist, woher die Farben kommen.
Damit kommen wir zum ersten ganz wesentlichen Kritikpunkt an den Klimastreifen (dass die Jahreszahlen angegeben werden müssen, was auch nicht immer der Fall war, ist natürlich eh selbstverständlich).
Diese Information muss bei halbwegs seriösen Klimastreifen immer dazugesagt werden: Bezogen auf welche Referenztemperatur wird die Temperatur eines Jahres als rot (über der Referenztemperatur) oder blau (unter der Referenztemperatur) dargestellt? Das heisst, welchen Temperaturraum deckt das Streifendiagramm ab und warum? Erst aus diesen Informationen (Zeitraum x-Achse und Temperaturbereich y-Achse, bzw. Farbskala) ergibt sich eine Aussage, die dann auch interpretiert werden kann.
Das reine Streifen-Diagramm bietet dafür keine Handhabe, es muss also in einer separaten Legende erklärt werden, die letztlich das mindeste ist, was ein Klimastreifendiagramm mitliefern muss:
In diesem Beispiel wurde als Referenztemperatur relativ willkürlich 9°C gewählt. Typischerweise werden aber gezielt Temperaturen gewählt, die entweder für eine vorindustrielle Zeit charakteristisch waren oder aber für einen Zeitraum in relativ naher Vergangenheit. Im Falle Berlins sind z.B. 8.6°C die Durchschnittstemperatur der Jahre 1970-2000. Die Klimastreifen ändern ihr Aussehen drastisch, obwohl es immer noch genau dieselben Daten sind:
Man könnte – warum auch immer – aber auch 10°C als Referenztemperatur wählen, das rote „Ende“ würde auch so sichtbar werden, nur nicht so „grell“:
Was in der klassischen Klimastreifen-Darstellung nicht möglich ist, aus unserer Sicht aber sehr wünschenswert wäre, sind nicht-konstante Referenztemperaturverläufe. Und hier könnten Klimastreifen sogar „wissenschaftlich“ werden. Wenn man einen Temperaturverlauf nämlich so betrachtet, dass es eine Baseline gibt (die zeitlich nicht konstant ist, sondern z.B. den langjährigen Trend beschreibt) und der Baseline überlagert Schwankungen, dann könnte – zumindest theoretisch – augenfällig werden, dass mit steigenden Temperaturen der Baseline die jährlichen Schwankungen z.B. stärker werden. Oder eben auch nicht, es bleibt zu untersuchen.
In jedem Fall ist aber die Klimastreifendarstellung nicht optimal. Ohne x-Achsenbeschriftung und ohne Temperaturbereich handelt es sich auch eher um Kunstwerke und nicht um eine wissenschaftliche Datendarstellung. Eigentlich war dies auch Ed Hawkins immer bewusst, der gemäß seiner Webseite und der anderen Informationen über die Vorgeschichte der Klimastreifen länger an der Temperaturdarstellung experimentiert hatte.
Als geeignetere Darstellungsform für Temperaturverläufe haben wir als re:look climate eine Kombination aus Kurve und Streifen („invertierte Balken“) gewählt und weiterentwickelt, die die Vorteile der Klimastreifen (intuitive Verständlichkeit der Farben) mit denen der Kurve (zeitlich nicht konstante Referenztemperaturen, keine Legende nötig) verbindet. Hier wieder für Berlin 1880 bis 2021, mit verschiedenen zeitlichen Verläufen der Referenztemperatur.
Referenztemperatur 9°C, kein Anstieg Referenztemperatur 9°C, Anstieg um 0,02°C/Jahr
Die Darstellung der invertierten Balken enthält immer auch die y-Achsen-Information, die Darstellung der x-Achse ist selbstverändlich.
Dass die Farbe Rot in den Darstellungen mit gleitenden Mitteln dominiert, bedarf einer genaueren Betrachtung. Es muss erklärt werden, warum das u.U. kein Warnsignal sein muss, sondern sich tatsächlich statistisch gut erklären lässt.
Als Kurzfazit dieser ersten Abschnitts:
Klimastreifen sind ein massive Vereinfachung der Darstellung von Temperaturverläufen – falls sie nicht als reine Kunstwerk zu betrachten sein sollen, müssen sie immer den Jahreszeitraum (x-Achse) und die Temperaturbereich, also die y-Achse, bzw. die Farbskala enthalten
Der visuelle Effekt hängt neben dem ursprünglichen Datenverlauf kritisch von der gewählten Referenztemperatur ab – durch Veränderung der Referenztemperatur änderts sich der visuelle Effekt auf die Daten drastisch
Die Klimastreifendarstellung ist suboptimal und sollte durch eine Kombination aus Balken- und Farbendarstellung inklusive klar ausgewiesener Referenztemperatur ersetzt werden.
Open Source:
Die re:look climate hat ein eigenes Visualisierungstool entwickelt, mit denen alle obigen Abbildungen erzeugt wurden. Die Quelldatensätze sind öffentlich verfügbare Daten. Wir laden interessierte Wissenschaftler, Medienmacher oder auch citizen scientists oder solche, die es werden wollen, ein sich selber mit dem Tool zu beschäftigen – die Freischaltung des Tools erfolgt auf Anfrage an stricker@relook-climate.de".
Open content Nutzung:
Die hier von der re:look climate präsentierten Inhalten sind gemäß open content-Regeln frei verfügbar, müssen aber bei Nutzung klar auf die re:look climate referenziert werden.
Quellen:
Ed Hawkins Homepage, Wikipedia, #ShowYourStripes
Datensatz Berlin 1880-2021: https://showyourstripes.info/c/europe/germany/brandenburgberlin
Das von der re:look climate entwickelte Stripes-Tool zur eigenen Verwendung: Freigabe nach Anfrage an stricker@relook-climate.de
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